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Der Neofaschismus in Europa

(Informations- und Diskussionsveranstaltung des Deutschen Freidenkerverbandes e.V. Wartburgkreis-Eisenach am 07.03. 2014)

von Karin May, Eisenach - es gilt das gesprochene Wort -

 

I. Die vier Phasen des Aufschwungs des Neofaschismus in Europa

In Europa sind gegenwärtig über 100 neofaschistische Terrorgruppen, Kampfbünde und Parteien aktiv. Allein in Russland treiben etwa 30 Organisationen, die diesem Spektrum zuzurechnen sind, ihr Unwesen. Wenn wir das Auf und Ab studieren, das die Netzwerke des Neofaschismus in den vergangenen Jahrzehnten geprägt und bestimmt hat, dann kristallisieren sich vier Höhepunkte heraus, die nach Perioden der Rückschläge und der Stagnation immer wieder zu neuen Aufschwüngen geführt haben:
 

  • Ende der letzten faschistischen Regimes in Europa (die spanische Franco-Diktatur, das portugiesische Salazar-Regime und griechische Militärjunta). Gleichzeitig setzt ein neuer Aufbruch ein, eine Neuformierung des an den Rand gedrängten Faschismus ein. Dieser Prozess konnte sich über Jahrzehnte hinziehen. (Etwa die Umwandlung des Movimento Sociale Italiano MSI in die Alleanza Nazionale unter der Führung von Gianfranco Fini.
  • Die zweite Phase des neofaschistischen Aufbruchs fiel mit dem Untergang der SU und Zerfall der osteuropäischen Staatengemeinschaft des RGW zusammen. Der schockartige Umbruch und die schlagartige Entwurzelung, Verarmung und Demoralisierung breiter Bevölkerungsschichten folgte. In Osteuropa etablierten sich daraufhin neofaschistische Organisationen, die in aller Offenheit auf die aus den 1930er und 1940er Jahren stammenden Traditionen zurückgreifen.
  • Parallel dazu kam es Ende der 1980er Jahre in Jugoslawien zu einer umfassenden Ethnisierung der wirtschaftlichen und sozialen Konflikte. Sie schlugen zu Beginn der 1990er Jahre in einen blutigen Bürgerkrieg um, der dann durch den Aggressionskrieg der NATO 1999 beendet wurde. Unter aktiver Beteiligung der USA und der EU entstanden ethnisch gesäuberte Kleinstaaten oder Kleinstaaten mit innerethischen Spannungen, die sich seither mit allen Mitteln gegeneinander abgrenzen und sich gegenseitig mit territorialen Forderungen überbieten. Da wurde uns deutlich vor Augen geführt, was geschehen würde, wenn die sozialen und politischen Gestaltungskräfte des Neofaschismus gewinnen und sich in subalterne Herrschaftseliten der hegemonialen Großmächte umwandeln.
  • Die vierte und jüngste Phase der Expansion des Neofaschismus hat sich im Gefolge der aktuellen Euro-Krise entwickelt. Die krisenverschärfenden Austeritätsprogramme unter dem Diktat der Troika aus EU-Kommission, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank in den Peripherieländern der EU um die Jahreswende 2009/2010 lösten eine soziale Katastrophe aus, die in vielem an die Schocktherapie von 1990 erinnerte. Auch von dieser Entwicklung konnten neofaschistische Kräfte profitieren. Der Neofaschismus hat inzwischen in mehreren süd- und südosteuropäischen Ländern tiefe Wurzeln geschlagen.

Im Ergebnis  dieser vier Aufschwungphasen ist der Neofaschismus wieder zu einem Machtfaktor aufgerückt, der in zunehmendem Maße auf die sozialen, politischen und kulturellen Verhältnisse in Europa einwirkt.

 

II. Die soziokulturelle Struktur des Neofaschismus

In soziokultureller Hinsicht sind drei unterschiedliche Planungs- und Handlungsnetzwerke entstanden:

  • Auf der inneren Ebene sind mehrere Untergrundorganisationen aktiv. Sie haben sich auf die Instrumente des politischen Terrors spezialisiert und greifen ihre „Feinde“ - die Kollektive oder Einzelpersonen des Ausländer -, Flüchtlingsmilieus, die sozialen, nationalen und religiösen Minderheiten sowie das linke Organisationsspektrum - mit extrem physischer Gewalt an. Unter ihnen haben sich in der letzten Zeit die Kommandos der Magyar Garda (Ungarische Garde), der europaweit operierende Combat 18, der deutsche Nationalsozialistische Untergrund (NSU) und die Milz der Chrysi Avgi hervorgetan.
  • Um diesen harten Kern gruppiert sich eine zweite Ebene neofaschistischer „politischer Soldaten“, die ebenfalls ihre ganze individuelle Existenz den Visionen des völkischen und hyper-nationalistischen Umsturzes verschrieben haben und teilweise mit den Terrorgruppen zusammenarbeiten. Sie bilden neofaschistische Kampfbünde, die auf der lokalen Ebene Personalstärken zwischen 5 und 30 Mitgliedern aufweisen. Sie verfügen über flexible Kommandostrukturen und sind häufig überregional vernetzt. Typische Exponenten solcher Kampfbünde gibt es heute vor allem in Ungarn mit der Ungarischen Garde und ihres politischen Arms, der Jobbik, in Deutschland mit den Freien Kameradschaften, in Griechenland mit den Schlägertrupps der Chrysis Avgi und in Russland, wo mehrere Gruppierungen der neofaschistischen Szene um ihren hegemonialen Einfluss streiten.
  • Im Panorama des Neofaschismus lässt sich noch eine weitere ebene abgrenzen, die sich in erster Linie der politischen Agitation und Propaganda verschrieben hat. Ihre Kader und Anhänger sind es gewohnt, gegen die repräsentative Demokratie mit deren eigenen Mitteln, nämlich einer in aller Form zugelassenen Parteiorganisation, vorzugehen. Das hat zur Folge, dass ihre völkisch-nationalistischen Heilslehren immer aufs neue in Partei- und Wahlprogramme einschrieben und sich massiv in lokale,nationale und europaweite Wahlkämpfe einschalten. Dabei haben sich in den letzten Jahren zwei Hauptströmungen herausgebildet. Die erste Gruppierung beruft sich in aller Öffentlichkeit auf das nazifaschistische Erbe der 1930er und 1940er Jahre und orientiert sich unterschiedlich weit gehend an der damaligen Hegemonialmacht und den Hypotheken des faschistisch beherrschten Europa. Sie hat sich schon vor einiger Zeit zu einer Europäischen Nationalen Front zusammengetan und auch auf kultureller Ebene, insbesondere durch die Organisation von Rechts-Rock-Festivals, grenzüberschreitende Verbindungen geschaffen.
    Vor allem die NPD, die griechische Chrysi Avgi, die rumänische Noua Dreapta (Neue Rechte), die Renouveau Francas (Französische Erneuerung), die italienische Forza Nuiva (Neue Kraft), die spanische Falange und die Narodowe Obdrodzenie Polski (Nationale Wiedergeburt Polens) haben Bedeutung erlangt.
  • Im Gegensatz dazu profilierte sich seit 2009 ein weiterer europaweiter Zusammenschluss, die Europäische Assoziation der nationalen Bewegungen. Um bessere Wahlergebnisse als ihre ältere europäische Konkurrentin zu erzeugen, hat sie die historischen Traditionslinien teilweise zurückgefahren und ihre Botschaften den sozialökonomischen und politischen Realitäten angepasst. Der im Jahre 2009 in Budapest gegründeten Allianz Nationaler Bewegungen gehören die ungarische Jobbik (Bewegung für ein besseres Ungarn),  der Front National (Frankreich), die British National Party , die Nationaldemokratische Partei Bulgariens und die italienische Flamma Tricolor an.
    Dazu kommen noch assoziierte Einzelmitglieder wie Vertreter des separatistischen belgischen Vlams Belang, des französischen Front National und des polnischenPrawo i Sprawiedlinvosc (Recht und Gerechtigkeit), während die Assoziation der ukrainischen Swoboda (Freiheit) inzwischen widerrufen wurde.

III. Der Neofaschismus und die soziale Frage

Das ist das Kernproblem der Analyse des Neofaschismus, nämlich warum es dem europäischen Neofaschismus erneut zu gelingen scheint, sich aus den Unterklassen und unteren Mittelschichten einen Massenanhang zu rekrutieren. Zwar gibt es keine ausreichend gesicherten Daten, aber viele Fallstudien und Beobachtungen sprechen dafür, dass sich die Deklassierten aus allen Segmenten der Unter- und Mittelschichten zunehmend auf die programmatischen und politischen Versprechen des Neofaschismus einlassen.

Das war in den Anfangs skizzierten Umbruchsphasen- Stagflation Ende
der 70er Jahre, Osteuropäische "Schocktherapie" 1990 - 1993, Jugoslawischer Bürgerkrieg und europäische Austeritätspolitik seit 2009/10 - eindeutig der Fall. Zwar bröckelte der Massenanhang in den Phasen der Zwischenerholung wieder ab, aber ein Sockel blieb bestehen, der sich in vielen Regionen Europas wieder vergrößert.
Vor allem weniger qualifizierte erwerbslose Jugendliche männlichen Geschlechts wenden sich den neofaschistischen Kampfbünden und Organisationen zu, weil ihnen meist nur der Weg in die chronische Unterbeschäftigung offen steht. Diese Entwicklung wird europaweit durch die stetige Zunahme der Jugendarbeitslosigkeit verstärkt.

Parallel dazu werden aber immer größere Gruppen von Betriebsbelegschaften für den Neofaschismus anfällig, besonders in Regionen, wo seit längerem Deindustriealisierungsprozesse laufen. Im Gegensatz zu den chronisch arbeitslosen Jugendlichen unterstützen die vom Abstieg bedrohten Industriearbeiter die „moderateren“ Formen des Neofaschismus, die sich teilweise mit neokonservativen Tendenzen überlagern, so etwa den Front National, die italienische Liga Nord und die Freiheitliche Partei Österreichs. Trotz fehlender massenstatistischer Daten über den Zusammenhang zwischen sozialer Enteignung, Pauperisierung und kultureller Verelendung und der damit einhergehenden Entwicklung des politischen Verhaltens sind diese Tatbestände eindeutig. Wie aber können sie erklärt werden? Es gibt zahlreiche Erklärungsansätze aus der Geschichte des „alten Faschismus“ in Europa. Trotzdem ist eine Übertragung auf aktuelle Entwicklungen verfehlt.

Am Beispiel der Entwicklung in Ungarn lassen sich einige Aspekte der Gegenwart, die die neofaschistischen Tendenzen verstärken, aufzeigen.
Nach den Wirren zu Anfang der 90er Jahre kam die Ungarische Sozialistische Partei an die Macht und konnte sie bis 1998 behaupten.
Im Anschluss ein ein vierjähriges bürgerliches Intermezzo wurde sie 2002 wiedergewählt und hielt diesmal zwei Regierungsperioden bis 2010 durch. In diesen zwölf Jahren verfocht sie eine besonders extreme Variante des Marktradikalismus mit Deregulierung des öffentlichen Sektors, umfassende Privatisierungen, der Demontage der sozialen Sicherungssysteme und die breite Durchsetzung prekärer Arbeitsverhältnisse. Als die Weltwirtschaftskrise 2008 Ungarn erreichte, befand sich die Gesellschaft am Rande des Zusammenbruchs und es kam zu spektakulären Verarmungsprozessen.Ungarn musste schließlich zur Abwendung eines Staatsbankrotts umfangreiche Hilfsgelder in Anspruch nehmen. Das Land geriet unter die Kuratel der „Troika“, deren Austeritätskataloge die Sozialistische Partei willig umsetzte.

Im Mai /Juni 2010 bekam sie die Quittung für ihre desaströse Wirtschafts- und Sozialpolitik. Der oppositionelle ungarische Bürgerbund Fidesz erränge bei der Wahl zwei Drittel der Parlamentssitze, und Jobbik, die Bewegung für ein besseres Ungarn , erreichte knapp 17%.
Es kam zu einem beispiellosen politischen Machtwechsel, der die institutionelle Linke in einem noch nie dagesessen Ausmaß diskreditierte.
Dagegen machte sich die Regierung unter Viktor Organ unverzüglich daran, das Austeritätsdiktat der Troika mitsamt den Vorgaben durch die Ungarische Sozialistische Partei entlang einer klaren klassenpolitischen Linie zu modifizieren. Sie forcierte die Ausgrenzung des unteren Drittels der Gesellschaft, indem sie das Arbeitslosengeld drastisch kürzte und die Bezugszeiten auf drei Monate reduzierte, eine die unteren Einkommen benachteiligende Einkommenssteuer von 19% einführte und ein umfassendes Gesetzespaket zur Internierung und Kriminalisierung der Obdachlosen aus den Weg brachte. Zum anderen begann sich die Fidesz-Regierung konsequent für die materiellen Belange der mittelständischen Klientel einzusetzen. Sie erzwang die Rückverstaatlichung der Pensionskassen für die Angehörigen des öffentlichen Dienstes, leitete die Rekommunalisierung  lokaler Infrastrukturbetriebe ein und verschaffte durch die Einführung der pauschalen Einkommensteuer allen Beziehern von Einkommen über umgerechnet 800 € im Monat erhebliche Steuervergünstigungen. Darüber hinaus setzte sie gegenüber der Troika einen zeitlich befristeten Wechselkurs der Landeswährung Forint gegen die führenden Auslandswährungen durch, so dass die besser betuchten  Inhaber notleidend gewordener  und in Fremdwährung gehaltener Immobilienkredite  der Falle ihrer Hypothekenverschuldung entrinnen konnten. Die etwa 400.000 überschuldeten Unterklassenhaushalte gingen leer aus und müssen mit allfälligen Zwangsräumungen rechnen.

Inzwischen ist die Fidesz-Regierung  über drei Jahre an der politischen Macht. In dieser Zeit ist es ihr gelungen, die pauschal angreifende soziale und ökonomische Konterrevolution der Sozialistischen Partei durch eine zweite Konterrevolution abzulösen, die an einer klaren politischen Interessenlinie orientiert ist. Ihr erbarmungsloses Vorgehen gegen den sich mühsam neu formierenden sozialen Widerstand wird durch ihre informellen neofaschistischen Bündnispartner,die Magyar Garda und die Jobbik abgesichert.

Lässt sich der Fall Ungarn verallgemeinern?

Gibt es hinreichende Belege für die Hypothese, dass sich nicht nur die Ungarische Sozialistische Partei, sondern auch die gesamte institutionalisierte europäische Linke so weit von den materiellen Interessen der Unterklassen entfernt hat, dass sie diese nur noch als Mitgestalter ihrer sozialen und ökonomischen Verelendung wahrnehmen?  Man könnte nach langem Pro und Kontra zu dem Schluss kommen, dass dies in der Tat der Fall ist. Der weitgehend selbstverschuldete Niedergang des linken Parteien- und Gewerkschaftsspektrums und der Wiederaufstieg des Faschismus bedingen sich wechselseitig.

Dies zeigt ein kurzer Rückblick auf die eingangs dargestellten vier Perioden des neofaschistischen Aufbruchs.
In der ersten Austeritätsperiode  Ende der 70er Jahre haben die sozialistischen Parteien Süd- und Westeuropas einen abrupten Kurswechsel zugunsten einer restriktiven Sozial- und Wirtschaftspolitik vollzogen, der den breiten Absturz der Unterklassen zur Folge hatte. In dieser Zeit kehrten beispielsweise die französischen Immigranten der zweiten Generation der Sozialistischen Partei massenweise den Rücken und avancierten ausgerechnet in den industriellen Ballungsgebieten zum wichtigsten sozialen Rückhalt der Front National. Da sich aber auch einige der Kommunistischen Parteien unter der Parole des „Eurokommunismus „ der scheinbaren Sachlogik einer restriktiven Wirtschafts- und Sozialpolitik unterwarfen, zerbrach zu dieser Zeit auch der noch teilweise intakte Zusammenhang zwischen den kommunistisch orientierten politischen Vertretern und den proletarischen Milieus.

Dieser Prozess wiederholte sich zu Beginn der 90er Jahre im Kontext des Zusammenbruchs der SU und der RGW-Staaten. Die arbeitenden Klassen Osteuropas wurden schockartig pauperisiert. Eine Hyperinflation brachte sie um ihre jahrzehntelang ersparten Konsumansprüche, und gleichzeitig wurden ihre Arbeitsplätze vernichtet, sodass sie den deregulierten Arbeitsverhältnissen schutzlos ausgeliefert waren. Auch in Russland und Osteuropa  wurden diese Praktiken - wenn auch nicht durchgängig von den „Reformflügeln“ des gewendeten realsozialistischen Parteiensystems in der Absicht vorangetrieben , sich am Ausverkauf der öffentlichen Güter zu bereichern und die neue Ära des Marktradikalismus aktiv voranzutreiben. Das ist ihnen auch weitgehend gelungen, wenn man von einigen Ausnahmen absieht, indem die alten Systemgegner (in Polen) oder der westdeutschen Herrschaftseliten (in Ostdeutschland) das Rennen machten. In Russland wie auch in den übrigen osteuropäischen Staaten hat die institutionelle Linke den materiellen Interessen der Deklassierten in einem Ausmaß den Rücken gekehrt, wie sie selbst für diejenigen, die sich nie den Illusionen über die wirklichen Machtverhältnisse in realen Sozialismus gemacht hatten, vor 25 Jahren einfach unvorstellbar gewesen war.

  • Zuletzt griff die Abkehr der institutionellen Linken von den Interessen der arbeitenden Klasse im Kontext der seit 2009 eskalierten Euro-Krise auf ganz Europa über. Soweit sie Regierungsverantwortung mittrugen, haben sich die europäischen sozialistischen Parteien an den krisenverschärfenden Austeritätsprogrammen beteiligt und die Vorgaben der Troika willig befolgt. Dabei diente ihnen das von den deutschen Sozialdemokraten und den Grünen im Jahr 2003  auf den Weg gebrachte Programm zur Skelettierung der deutschen Sozialsysteme und die Einführung dies Niedriglohnsektors als Vorbild, ohne dass ihnen bislang eine Kopie diese raffiniert austarierten Systems von Arbeitserzwingung und minimalen Sozialstandards gelungen wäre.
  • Die daraus resultierende Orientierungslosigkeit hat immer mehr Menschen dazu gebracht, sich mit dem Neofaschismus zu identifizieren. Der abrupte soziale Zusammenbruch ließ den Deklassierten nur vier Handlungsoptionen übrig:
  • Sie können sich individuell oder in kleinen Gruppen zusammenschließen und selbst zerstören (Alkohol, Drogen, Prostitution, Flucht in die organisierte Kriminalität, Selbsttötung).
  • Sie können auswandern und in einer anderen Weltregion einen unsicheren Neuanfang versuchen - die klassische Flucht- und Vermeidungsreaktion, die wegen restriktiver Einwanderungsbestimmungen immer schwieriger wird.
  • Sie können sich selbstverständlich auch heute zu selbstbestimmten, sozial gerechten und egalitären Alternativprojekten und Kooperativen zusammenschließen und neue antisystemische Perspektiven entwickeln. Allerdings werden sie nicht über Ansätze hinauskommen, solange die aufgehäuften Hypotheken der institutionellen Linken übermächtig in die Unterklassen hineinwirken, wie dies gegenwärtig noch der Fall ist.
  • Es bleibt noch die neofaschistische Option. Zunehmend tendieren demoralisierte und in ihrer Identität bedrohte Jugendliche und Erwachsene dazu, sich in Gestalt der neofaschistischen Kampfbünde und Organisationen ein äußeres Korsett anzulegen, das sie paramilitärisch diszipliniert, ihren Alltag neu ordnet und „kameradschaftlichen“ Halt bietet. Davon ausgehend ist es dann nicht mehr weit zu den Visionen von „ethnisch gesäuberten und national befreiten Zonen“. Die Erniedrigten gehen dazu über, die in ihrer Reichweite befindlichen noch schwächeren Menschen zu beleidigen, zu erniedrigen, zu terrorisieren und auch zu töten und sich mit wachsender Zahl in den Parlamenten zu etablieren.

Das alles sind bedrückende Perspektiven. Aber sie sind analysierbar und können von uns auch auf der individual- und sozialpsychologischen Ebene durchaus nachvollzogen werden.

Schluß:

Der Neofaschismus ist dabei, sich in Europa zu einem von erheblichen Teilen der Unterklassen mitgetragenen Phänomenen der sozialen Regression und des neuerlichen Weges in die Barbarei zu entwickeln. Sein politischer Hauptfeind ist und bleibt die Linke in allen Schattierungen - obwohl sie durch einen übermächtigen institutionellen Flügel bis zur Unkenntlichkeit deformiert ist. Wenn wir uns den damit einhergehenden Herausforderungen stellen wollen, müssen wir zuerst mit einer radikalen (Selbst) Kritik anfangen.

(Quellenangabe: Zweiwochenschrift Ossietzky, Themenheft 1 siebzehnter Jahrgang 21.12. 2013, "Über zunehmende rassistische und nationalistische Tendenzen in Europa", Karl Heinz Roth "Der Neofaschismus in Europa")