aus dem Kreisvorstand

Mehr als ein Geschichtsbuch

Gerd Anacker
WartburgkreisKatja WolfKV-WAKEisenach

Gregor Gysi gab Einblicke in sein spannendes und bewegtes Leben und verwies auf Konstruktionsfehler der deutschen Politik

Gregor Gysi gab Einblicke in sein spannendes und bewegtes Leben und verwies auf Konstruktionsfehler der deutschen Politik

Eisenach – In der Eventhalle West waren am Gründonnerstag die Plätze ausgebucht, denn kein geringerer als Gregor Gysi präsentierte Anekdoten aus seinem fesselnden Leben und gab Einblicke

in seine Autobiografie „Ein Leben ist zu wenig“.

An seiner Seite lockte Eisenachs Oberbürgermeisterin Katja Wolf den prominenten Gast zu einigen Defiziten der deutschen Regierungspolitik heraus, denn seine hohe Autorität vor allem in Ostdeutschland war auch in Eisenach auf Schritt und Tritt zu spüren. Kaum wie ein anderer hat Gregor Gysi, vor allem bei den ostdeutschen Bürgern linkes Denken geprägt und ist auch im 70. Lebensjahr aus der Öffentlichkeit nicht wegzudenken. Die Erinnerungen des heutigen Vorsitzenden der Europäischen Linken von der Kindheit bis zu seiner letzten Rede im Deutschen Bundestag im Oktober 2015 haben gezeigt, dass er eine aufregende Zeit nicht nur miterlebte, sondern auch aktiv mit gestaltete. Ob es die Mandantschaft während seiner Rechtsanwaltslaufbahn für die DDR – Dissidenten Rudolf Bahro, Robert Havemann, oder Bärbel Bohley, oder seine Rede am 4. November vor 500 Tausend Bürgern auf dem Alex waren, Gregor Gysi hat in Eisenach bedeutsame Abschnitte deutscher Geschichte in genialer Rhetorik und sehr persönlicher Weise präsentiert.

Katja Wolf legte den Finger auf solche Wunden, wie Gregor Gysi als Sprachrohr der Ostdeutschen auch bei manchen West – Politiker Achtung und Anerkennung erhielt. „Ich habe zu jeder Zeit nicht akzeptiert, dass die Ostdeutschen nicht die gleiche Rente für die gleiche Lebensleistung wie die Westdeutschen erhalten“ unterstrich Gysi und zeigte noch weitere Benachteiligungen auf.

Scharf ging Gysi mit der Europäischen Kommission und den Europaparlament zu der Flüchtlingsfrage ins Gericht. Zu diesen und weiteren Themen, wie z. B. den Handelskrieg mit der USA habe man total versagt und der Bürokratie freien Lauf gelassen.

Katja Wolf sprach das Thema Städtepartnerschaft an und meinte, diese werde von der EU und der Bundesregierung so jämmerlich ausgestattet, dass in dieser Richtung keinerlei Bewegung möglich sei. Das Trauerspiel liege vor allem im Bundestag meinte Gysi und zeigte auf, dass dieser pro Woche über 450 Milliarden Euro entscheide, aber ein Großteil davon in falsche Projekte fließe.

Hier beginne die soziale Ausgrenzung der Bürger und bei diesen Thema habe man in den letzten 30 Jahren nichts dazugelernt. Weiterhin wurde von der Oberbürgermeisterin kritisiert, dass die Interessen der Kommunen im Bundestag und im Bundesrat kaum Berücksichtigung finden und die kommunalen Vertretungen in der Bundesregierung kaum eine Rolle spielen. Das sei ein gravierender Konstruktionsfehler, meinte Gysi und ergänzte, dass damit das Mitentscheidungsrecht der Kommunen mit den Füßen getreten werde. Das von Katja Wolf angeführte Beispiel zur grundhaften Erneuerung der alten A 4 mit Millionen von Euro, entgegen der totalen Vernachlässigung der städtischen Straßen sei den Bürgern nicht zu vermitteln. Die Autobahnen seien eben Bundesmittel und die Straßen dagegen Landes – oder kommunale Aufgaben. Diese Bürokratie sei typisch für die Bundesregierung. Man dürfe jedoch mit den Forderungen nicht nachlassen, ergänzte der Vorsitzende der europäischen Linken.

Gregor Gysi machte kein Hehl daraus, Katja Wolf für Ihr Engagement als Oberbürgermeisterin herzlichen Dank zu sagen. Er meinte, sie habe in Eisenach allerhand bewegt und gezeigt, dass linke Kommunalpolitik auch von den Bürgern honoriert und anerkannt wird. Er wünschte ihr für ihre erneute Kandidatur zur Wahl als Oberbürgermeisterin einen guten Erfolg, denn die soziale Gerechtigkeit lebe ganz konkret vor Ort in den Kommunen.

Nach dem Forum war der Ansturm zur Signierung der Autobiographie vorprogrammiert und nicht wenige Besucher nutzten die Gelegenheit ein paar anerkennende Worte mit Gregor Gysi zu wechseln. Ein Besucher meinte „ das ist mehr als ein Geschichtsbuch aus linker Sicht“.