aus dem Kreisvorstand

Entsetzt über die Mär vom vermeintlichen "Wirtschaftsflüchtling"

In der Ausgabe vom Freitag, den 29. November, antwortet die Ausländerbeauftragte des Wartburgkreises, Frau Hirschberg, auf die Frage nach den Fluchtgründen von Asylsuchenden in Deutschland, dass man "pauschal" sagen könne, "dass die überwiegende Zahl (…) aus wirtschaftlichen Gründen kommt (und) Verfolgung, Kriegs- beziehungsweise, Terrorgefahr, Angst vor Gewalt und ähnliches tatsächlich in der Minderheit seien."

Diese Aussage ist erschreckend! Erschreckend diskriminierend und aufgeladen mit Vorurteilen, welcher sich der rassistisch motivierte Mob in Greiz, Schneeberg oder Berlin-Hellersdorf, um nur einige bekannte Beispiele dieser Tage zu nennen, derzeit auch bedient. Frau Hirschberg diffamiert damit, egal ob gewollt oder ungewollt, Asylsuchende im Wartburgkreis und darüber hinaus, als vermeintliche "Wirtschaftsflüchtlinge". Eine Bezeichnung, die in mehrfacher Hinsicht abzulehnen, ja zu verurteilen ist. Mit dieser rhetorischen Figur, die auch zunehmend in der medialen Öffentlichkeit bedient wird, werden die Opfer, die Asylsuchenden, zu Tätern abgestempelt.

Menschen, die aus der wirtschaftlicher Not heraus, als Folge gesellschaftlicher Unterdrückungsmechanismen und Ausgrenzung, oder wegen Krieg und Unterdrückung, ihren Ländern entfliehen, verwandeln sich in den Augen vieler Deutscher so zu einer vermeintlichen und konstruierten Bedrohung ihres eigenen Wohlstandes und der Sozialsysteme. Dabei wird übersehen, dass es für Menschen, die aus existenziellen Gründen nach Europa fliehen, oft nur die Wahl zwischen Flucht oder Verfolgung gibt. Schon in den 1990er Jahren, waren es Schlagworte wie "Wirtschaftsflüchtling" und "Asylmissbrauch", welche die Debatte anheizten und die Zunahme und die Radikalisierung von rassistischen Einstellungen in der Bevölkerung bis hin zur rassistischen Gewalt und einer menschenunwürdigen Asyl- und Migrationspolitik der politischen Verantwortlichen mit sich brachte. Zudem bedient Frau Hirschberg damit auch das Vokabular der NPD: und ich hoffe, dass dies nicht ihre eigentliche Absicht ist und war.
Erst in diesem Jahr hat die NPD Thüringen einen Aufruf veröffentlicht, mit dem sie "Keine Rücksicht für Wirtschaftsflüchtlinge" fordert und in ihrer rassistischen Hetze fordert, "das Grundrecht auf Asyl dürfte nicht länger mißbraucht werden".

Diese rassistisch motivierte Debatte misst immer mit zweierlei Maß, denn vergessen wird meist auch, dass es Wanderungsbewegungen auf Grund wirtschaftlicher Notlagen auch in der bundesdeutschen Geschichte massenhaft gab. Nach dem Fall der Mauer wanderten bis 1998 ca. 1,8 Millionen Menschen in den Westteil Deutschlands, um ihren Lebensstandard zu erhöhen. Niemand findet das schändlich, aber hier war es ja auch "nur" die "deutsche" und "eigene" Mehrheitsgesellschaft, und keine vermeintlichen "Einwanderer".

Vielleicht sollte Frau Hirschberg auch bedenken, dass es im Übrigen keinen Unterschied macht, ob ein Mensch aus "rechtlich anerkannten" politischen Gründen diskriminiert und verfolgt wird oder ob er am Rande der wirtschaftlichen Existenz lebt, deswegen ausgegrenzt wird, um sein Überleben kämpfen muss und so die Flucht als letzten Ausweg sieht. Auch sollte Frau Hirschberg bei den statistischen Zahlen bleiben, statt von pauschalen Aussagen zu sprechen, die jeglicher Lebensrealität der Geflüchteten entbehren und so rassistischen Einstellung innerhalb der Gesellschaft einen weiteren Nährboden zu verschaffen. Denn dass bis zu 75 % der Asylanträge abgelehnt und Menschen abgeschoben werden, liegt in der Regel nicht an der als scheinbar sicher eingeschätzten Lebenssituation der Geflüchteten im Fluchtland. Mit der faktischen Abschaffung der Asylrechtes in Deutschland im Jahr 1993 und den europäischen Regelungen, wie dem Dublin-II-Verfahren, ist es quasi unmöglich geworden "legal" nach Deutschland als Flüchtling einzureisen, da die Bundesrepublik umgeben ist von sogenannten und vermeintlich "sicheren Drittstaaten". Es wäre mir neu, wenn Frau Hirschberg als Ausländerbeauftragte des Landkreises Asylanträge prüft und daher einschätzen kann, warum Menschen die Flucht als letzten Ausweg wählen und nach Deutschland kommen. Abschließend noch ein Aufruf und Hinweis, den sich auch Frau Hirschberg und viele andere zu Herzen nehmen sollten: Kein Mensch ist illegal!

Christian Schaft