aus dem Kreisvorstand

Stellungnahmen der beiden Kreisvorsitzenden Anja Müller und Sascha Bilay zur Diskussion "Unrechtsstaat DDR" und die Anfragen des MDR Thüringen

Der MDR Thüringen hat ausgewählte Kreisverbände im Zusammenhang mit der öffentlichen Debatte zum "Unrechtsstaat DDR" angeschrieben und Fragen gestellt. In der Fragestellung wird einerseits auf die Diskussionen innerhalb des Kreisverbandes DIE LINKE. Wartburgkreis-Eisenach nach der Basiskonferenz vom 27.09.14 in Sömmerda eingegangen. Andererseits sollen die Kreisvorsitzenden eine persönliche Meinung kundtun.

Die beiden Kreisvorsitzenden Anja Müller aus Bad Salzungen und Sascha Bilay aus Eisenach haben hierzu folgende persönliche Stellungnahmen abgegeben.

Kreisvorsitzende Anja Müller:

Sehr geehrter Herr Kendzia,

vielen Dank für ihre Medienanfrage. Der Kreisverband DIE LINKE. Wartburgkreis-Eisenach verfügt über eine Doppelspitze. Seit fünf Jahren fungieren Herr Bilay und ich in dieser Funktion. Aus diesem Grund erhalten Sie auch zwei Antworten.
Der Begriff "Unrechtsstaat" allein ist nicht geeignet, den Staat der DDR zu charakterisieren. Der Begriff suggeriert, dass es gar kein Recht in der DDR gab, was nicht zutrifft. Es gab das Arbeits- und Familienrecht und die entsprechende Rechtssprechung, die auch im Einigungsvertrag Bestand hatte. Aber die DDR war eine Diktatur. Und das habe ich schon in mehreren Statements in der Presse kundgetan.
Mit meinen 41 Jahren habe ich die DDR nur bis zu meinem 16. Lebensjahr erlebt. Da kann ich für mich persönlich sagen, ich hatte eine wunderbare Kindheit. Aber ich selbst bin mit einem DDR-Flüchtling schon seit 18 Jahren verheiratet. Und durch seine Erlebnisse und die seiner Eltern (Berufsverbot, Sanktionierungen in der Schule) sage ich deutlich, die DDR war eine Diktatur.
Im Kreisverband gab es selbstverständlich auch Diskussionen, aber gerade gestern Abend hatten wir eine Beratung mit den Vorsitzenden der Ortsverbände. Und da kann ich Ihnen mitteilen, die Verbände  stehen hinter unsere Sondierungsgruppe und wünschen sich eine rot-rot-grüne Landesregierung. Die Debatte, die medial aufgepuscht wird, ist nicht unsere Debatte. Im Übrigen hat unser Kreisverband die Diskussion schon recht frühzeitig begonnen.
Gerade unter der Doppelspitze. So hatten wir Frau Uta Thofern (Point Alpha Stiftungsdirektorin) als Neujahrsrednerin zu Gast. Auch haben wir den Stasiunterlagenbeauftragten Herrn Jahn schon mehrfach in unseren Kreisverband eingeladen. Doch bisher hat er diese Einladung nicht angenommen.
Also ist diese Diskussion für uns nicht neu.

Das darf es gewesen sein.

Vielen Dank und freundliche Grüße
Anja Müller
Kreisvorsitzende DIE LINKE. Wartburgkreis-Eisenach

 

Kreisvorsitzender Sascha Bilay:

Sehr geehrter Herr Kendzia,

vielen Dank für Ihre Medienanfrage an den Kreisverband der Thüringer LINKEN Wartburgkreis-Eisenach. Der Kreisverband verfügt über eine so genannte Doppelspitze. Ihre Fragen sind in erheblichem Ausmaß persönlich gestellt, weshalb ich als Teil dieser Doppelspitze auch persönlich antworte.
Die Frage nach dem "Unrechtsstaat DDR" wird derzeit fast ausschließlich emotional geführt. Weder gibt es eine wissenschaftliche Definition des Begriffes, noch eine gesellschaftlich akzeptierte Verwendung des Begriffes. Insofern ist es verständlich, dass der MDR Thüringen versucht, diese emotionale Debatte "abzufischen". Verständlich sollte deshalb auch meine emotionale Antwort auf Ihre Fragen sein.
Gleich zu Beginn will ich voran stellen, dass ich Jahrgang 1979 bin. Ich habe den Mauerfall im bewussten Alter von zehn Jahren erlebt. Ein Teil meiner Familie war überzeugte Anhängerschaft der DDR im Glauben an den Sozialismus als Ideal - Kritik an der Realität wurde dennoch nicht ausgespart. Der andere Teil der Familie hatte sich unauffällig "im System" eingerichtet - meine Familie war also nicht anders, als die übrigen Familien millionenfach.
Ich habe als Kind die DDR erlebt.
Ich habe als Jugendlicher die unmittelbare Zeit der Wende und ihrer ersten Jahre erlebt. Von daher werde ich nunmehr ganz persönlich, obwohl ich weiß, daß viele Menschen meiner Generation Ähnliches erlebt haben.

Daß diese so genannte friedliche Revolution ohne Blutvergießen und Opfer abgelaufen ist, ist ein Märchen. In meiner Verwandtschaft gab es Menschen, die an das Gute geglaubt und entsprechend gehandelt haben. In der Wendezeit gab es Menschen, die aus welchen Gründen auch immer, ihre angestaute Wut an anderen abgeladen haben. In meiner Verwandtschaft wurde diese Wut des DDR-Systems aufgefangen. Nicht alle waren so stark, diese Last tragen zu können. Es gab Menschen, die in dieser Zeit an dieser Last zerbrochen sind. Niemand redet heute darüber, daß Einzelne erst Kerzen in die Fenster gestellt haben, während dessen sie anderen Menschen eine Schuld aufgeladen haben, für die sie nicht persönlich verantwortlich gewesen sind. Es ist ein Märchen, daß diese Revolution ohne Menschenleben vollbracht werden konnte. Es gab Biographien, die plötzlich endeten.

Ich kann deshalb nachvollziehen, wenn am Begriff "Unrechtsstaat" auch die emotionale Debatte geführt wird. Die Gespräche in der Sondierung sind jedoch nicht auf die Entwertung von Biographien der Menschen gerichtet. Eine Entwertung der Biographien hat durch die Aneinanderreihung von Massenentlassungen (im Glaswerk Ilmenau, wo meine Eltern gearbeitet haben 7.000 Menschen auf einen Streich), ABM, SAM, Arbeitslosigkeit, Sozialhilfe und Zwangsverrentung stattgefunden. All diese Episoden konnte ich hautnah erleben. Es gab vielerlei Schicksale, daß Menschen nach 1989/1990 keine Chance mehr erhielten, sich als Teil der Gesellschaft behaupten zu können.
Ich will nicht relativieren. Ebenso gab es viele Schicksale vor 1989. Ein Aufrechnen wäre unangemessen.
Ich kann jedoch vor dem Hintergrund von persönlichen Schicksalen die emotional geführte Debatte verstehen.

Und dennoch bin ich glücklich, als Sozialist sagen zu können, daß die DDR keine Zukunft hatte und ich meine Freiheit heute genieße. Ich träume weiterhin vom Sozialismus.
Dazu gehört, daß in Thüringen endlich ein Politikwechsel eingeleitet werden muß. Die bisherige Landespolitik ist gescheitert. Die Kommunen bluten aus. Die Familienpolitik ist anachronistisch. Demokratie wird mit den Füßen getreten. Erstmals seit 1990 besteht die Chance, Politik ohne die CDU in Thüringen zu gestalten. Dafür haben auch die Mitglieder und Sympathisanten der LINKEN gekämpft. Daran werde ich als Kreisvorsitzender erinnern. Ich bin optimistisch, daß die Basis diesem Weg der politischen Erneuerung von Thüringen auch weiterhin positiv gegenüber steht.
Die Debatte zum "Unrechtsstaat" ist nur ein kleiner Teil der bisherigen Sondierungsgespräche. Mir kommt es auf die politischen Inhalte in Frage der Kommunen, der Kitas, der Schulen, der Energie, der Umwelt und der Sicherung des alltäglichen Lebens auf dem Lande an. Hierzu gibt es positive Signale für einen Politikwechsel.
In dieser Verantwortung werden die Mitglieder der Thüringer LINKEN eine Entscheidung treffen.

PS: Als Mitglied des Landesvorstandes stehe ich zu den jüngsten Beschlüssen.

Mit freundlichen Grüßen
Sascha Bilay

 

Anfrage des MDR Thüringen:

Sehr geehrte Damen und Herren,

seit der Veröffentlichung einer gemeinsamen Erklärung der Sondierungsgruppen von Linke, SPD und Grüne zum Thema „DDR-Unrechtsstaat“ gibt es besonders in Ihrer Partei DIE LINKE eine kontroverse Debatte. Dies hat u.a. die Basiskonferenz am 27. September im Volkshaus in Sömmerda gezeigt. Sie, die Kreisvorsitzenden, sind ein wichtiges Bindeglied zwischen dem Parteivorstand und der Basis im Landesverband DIE LINKE in Thüringen. Da wir gerne versuchen wollen, besonders die Meinungen in den Kreisverbänden zu diesem Thema öffentlich abzubilden, haben wir einen kleinen Fragenkatalog vorbereitet, um dessen Beantwortung wir Sie herzlich bitten möchten.
Dabei stellen wir zu den jeweiligen Themen die Frage zuerst Ihnen persönlich als Kreisvorsitzende bzw. Kreisvorsitzenden. Danach folgt immer die Frage nach Ihrer Einschätzung über die jeweilige Meinungslage im Kreisverband selbst.

Fragen:
A.)
Würden Sie die DDR aus heutiger Sicht als einen „Unrechtsstaat“ bezeichnen? Bitte Begründen Sie Ihre Einschätzung.
Wie schätzen Sie die Meinung in Ihrem Kreisverband in dieser Frage ein?

B.)
Finden Sie es persönlich richtig, dass die DDR in der Präambel zu einem möglichen Koalitionsvertrag als "Unrechtsstaat" bezeichnet wird und der Begriff dort in den Text Eingang finden soll? Bitte Begründen  Sie Ihre Einschätzung.
Wie schätzen Sie die Meinung in Ihrem Kreisverband in dieser Frage ein?

C.)
Wenn Sie den Begriff ablehnen, sollten die Linken die Verhandlungen mit Grünen und SPD nicht lieber beenden?
Wie schätzen Sie die Meinung in Ihrem Kreisverband in dieser Frage ein?

D.)
Fühlen Sie sich als Vertreter der Linken in dieser Frage von Grünen und SPD erpresst?
Wie schätzen Sie die Meinung in Ihrem Kreisverband in dieser Frage ein?

Wir würden Sie herzlich bitten uns diese Fragen bis Mittwochabend (8. Oktober 2014) zu beantworten. Bitte senden Sie Ihre Antworten an:(Mailadresse aus Datenschutzgründen gelöscht)

Für Rückfragen stehen wir Ihnen unter (Nummer aus Datenschutzgründen gelöscht) gerne zur Verfügung.

Wir danken Ihnen herzlich für Ihre Mühe.

Mit freundlichen Grüßen
die Content-Recherche Redaktion des MDR THÜRINGEN
i.A. Ludwig Kendzia
MDR THÜRINGEN